Meyers Konversationslexikon
Band 7  (von Gehirn bis Hainichen)
1887

Seite 857:

Grünberger Handschrift, eine böhmische, 1817 von dem Privatbeamten Joseph Kovar im Archiv des Schlosses Grünberg bei Nepomuk aufgefundene Handschrift, gegenwärtig im böhmischen Nationalmuseum zu Prag befindlich. Sie besteht aus vier Pergamentblättern, stammt angeblich aus dem 9. Jahrh. und enthält zwei epische Fragmente: "Der Landtag" und "Libusas Gericht". Ihre Echtheit wurde zuerst 1824 von Dobrovsky, dann von Kopitar, Büdinger u. a. angefochten, dagegen von Jungmann, Palacky, Schafarik, Tomek ("Die G. H.", Prag 1859) und J. Jirecek verteidigt. In neuester Zeit (1886) haben auch die Prager Professoren Gebauer und Massaryk ernste Bedenken gegen die Echtheit der G. H. erhoben.


Meyers Konversationslexikon
Band 9  (von Irideen bis Königsgrün)
1888

Seiten 1019-1020:

Königinhofer Handschrift (Rukopis Kralodvorský), das älteste Denkmal der tschechischen Litteratur, von Hanka 1817 im Gewölbe des Kirchturms zu Königinhof aufgefunden, besteht aus zwölf zierlich mit kleiner Schrift beschriebenen Blättern und zwei Bruchstücken, welche zusammen 14 Gedichte und Gedichtfragmente epischer und lyrischer Form enthalten, und stammt nach den letzten Untersuchungen der Brüder Jirecek aus dem 13. Jahrh. Die erste Ausgabe (der Urtext mit Übersetzung in neuböhmischer Sprache von Hanka und deutscher Übertragung von Swoboda, Prag 1819) erregte alsbald allgemeines Aufsehen; Goethe, Grimm, Chateaubriand, Cantù u. a. bekundeten freudiges Erstaunen. Eine deutsche Ausgabe besorgte Graf M. Thun ("Gedichte aus Böhmens Vorzeit", mit Einleitung von Schafarik und Anmerkungen von Fr. Palacty, Prag 1845). 1852 gab Hanka eine Polyglotte der K. H. mit Übersetzungen in fast alle europäischen Sprachen heraus; 1862 erschien ein photographisches Faksimile mit einer gründlichen Abhandlung von Vrtatko, 1873 eine illustrierte Ausgabe von Korschinek, 1879 eine neue Ausgabe von J. Jirecek und Vymazal. Was den Inhalt betrifft, so behandelt das Fragment des ersten Gedichts die Vertreibung der Polen aus Prag 1004 und stimmt mit den darauf bezüglichen Angaben der Hajekschen Chronik überein; das zweite Gedicht schildert die Niederlage eines sächsischen Heerhaufens, das dritte den Sieg des böhmisch-mährischen Heers unter Jaroslaw über die Tataren bei Olmütz 1241 (vgl. Palacky, Der Mongoleneinfall 1241; dagegen Schwammel, Über die angebliche Mongolenniederlage bei Olmütz, in "Sitzungsberichte der königlichen Akademie der Wissenschaften" 1860, Bd. 33). Das vierte Gedicht schildert den Sieg über Vlaslaw, von welchem der Chronist Kosmas berichtet, das fünfte ein altböhmisches Turnier; das sechste feiert den Sieg der heidnischen Häuptlinge Zaboj und Slavoj über einen christlichen Feldherrn Lüdek (Ludwig?) angeblich 805. Der Rest besteht aus kleinern Liedern im Volkston ohne besondere Aufschriften. Die Echtheit der K. H. ist ebenso eifrig angefochten wie verteidigt worden. Unter den slawischen Linguisten äußerte zuerst Kopitar vielfache Bedenken; in neuerer Zeit haben Feifalik ("Die K. H.", Wien 1860), Büdinger (in Sybels "Historischer Zeitschrift" 1859 und "Die K. H. und ihre neuesten Verteidiger", Leipz. 1859), Wattenbach (in genannter Zeitschrift 1863), Vasek(1879), Schembera (Wien 1882 u. 1886) sowie die Professoren der böhmischen Universität Gebauer, Massaryk und Goll (in der Prager Zeitschrift "Athenaeum") gegen ihre Echtheit gewichtige und begründete Anklagen erhoben. Umständliche Verteidigungen lieferten außer Palacky (s.oben) Nebesky ("Rukopis Kralodvorský", Prag 1853), die Gebrüder Jirecek (1862 u. 1878), Hattala (1871), Brandl (1879, 1880) u. a.


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