Johann Gotfried Herder
Stimmen der völker in Liedern
1972

Volksliedr
Zweiter Teil.  Zweites Buch.
Strana 264 až 268:

      30. Die Fürstentafel
           Eine böhmische Geschichte

     Wer ist jene, die auf grüner Heide
     sitzt in Mitte von zwölf edeln Herren?
     Ist Libussa, ist des weisen Kroko
     weise Tochter, Böhmenlandes Fürstin,
     sitzet zu Gericht und sinnt und richtet.

     Aber itzo spricht sie scharfes Urteil
     Rotzan, einem Reichen. Und der Reiche
     fähret auf im Grimme, schläget dreimal
     mit dem Speer den Boden und ruft also :

     "Weh uns, Böhmen, weh uns, tapfre Männer!
     Die ein Weib verjochet und betrüget,
     Weib mit langem Haar und kurzen Sinnen -
     lieber ster.ben, als dem Weibe dienen."

     Und Libussa hörts, und ob es freilich
     tief sie kränkt in ihrem stillen Busen,
     denn des Landes Mutter, aller Guten
     und Gerechten Freundin war sie immer;
     dennoch lächelt sie und redet gütig:

     "Weh denn euch, ihr Böhmen, tapfre Männer,
     daß ein lindes Weib euch liebt und richtet;
     sollet einen Mann zum Fürsten haben,
     einen Geier statt der frommen Taube."

     Und stand auf voll schönen stillen Zornes,
     "morgen ist der Tag, wenn ich euch rufe,
     sollt ihr haben, was ihr wünschet."

     Alle blieben stumm und tief beschämet stehen,
     fühlten alle, wie sie übel lohnten
     ihrer Treu und Mutterlieb und Weisheit;
     doch gesprochen wars und alle lüstern
     auf den Morgen, auf den Mann und Fürsten,
     gehn mit hellen Haufen auseinander.

     Lange hatten viele reiche Herren
     nach Libussens Hand und Thron getrachtet,
     sie gelockt mit Schmuck und Schmeicheleien,
     reichem Gut und Herden. Doch Libussa
     wollte nie sich Hand und Thron verkaufen.
     Wen nun wird sie wählen? Alle Edeln
     schlafen unruhvoll und hoffen Morgen.

     Morgen kommt. Die Seherin Libussa
     ist noch ohne Schlaf und ohne Schlummer,
     ist auf ihrem hohen heilgen Berge,
     fragt die Göttin Klimba, bis die Göttin
     endlich spricht und öffnet Reiches Zukunft:

     "Auf! Wohlauf Libussa, steige nieder,
     hinterm Berge dort, an Bilas Ufer
     soll dein weißes Roß den Fürsten finden,
     der Gemahl dir sei und Stammes Vater,
     fährt da emsig mit zwei weißen Stieren,
     in der Hand die Rute seines Stammes,
     und hält Tafel da auf eiserm Tische.
     Eile, Tochter, Schicksalsstunde eilet."

     Schwieg die Göttin, und Libussa eilet,
     sammlet ihre Böhmen, legt die Krone
     nieder auf die Erde und spricht also:

     "Auf! Wohlauf ihr Böhmen, tapfre Männer,
     hinterm Berge dort, an Bilas Ufer
     soll mein weißes Roß den Fürsten finden,
     der Gemahl mir sei und Stammes Vater,
     fährt da emsig mit zwei weißen Stieren,
     in der Hand die Rute seines Stammes,
     und hält Tafel da auf eiserm Tische.
     Eilet, Kinder, Schicksalsstunde eilet."

     Und sie eilten, nahmen Kron und Mantel,
     und das Roß vor ihnen, wie der Wind schnell,
     und ein weißer Adler über ihnen -
     bis an Bilas Ufern überm Berge
     stand das Roß und wiehert einem Manne,
     der den Acker pflüget. Tief verwundert
     stehen sie. Er schreitet in Gedanken,
     pflüget emsig mit zwei weißen Stieren,
     in der Rechten eine dürre Rute.

     Und sie boten laut ihm guten Morgen.
     Stärk.er treibt er seine weiße Stiere,
     höret nicht. "Sei uns gegrüßet, Fremder,
     du der Götter Liebling, unser König!"
     Treten zu ihm, legen ihm den Mantel
     um die Schulter und die Königskrone
     auf sein Haupt. "O hättet ihr mich immer
     pflügend meinen Acker lassen enden!"
     Spricht er. "Eurem Reiche sollts nicht schaden -
     doch es ist des schnellen Schicksals Stunde."

     Und steckt ein die Rute in die Erde,
     band die weißen Stiere los vom Pfluge:
     "Geht, woher ihr kamet!" Plötzlich hoben
     sich die weißen Stiere in die Luft hin,
     gingen ein zu jenem nahen Berge,
     der sich schloß, und aus ihm sprang ein faules
     Wasser, das noch jetzo springet. Plötzlich
     grünete die Rute aus dem Boden,
     sprießet oben in drei Zweige. Staunend
     sehn sie alles. Und Przemysl, der Denker
     (also war sein Name), kehrt den Pflug um,
     langet Käs und Brot aus seiner Tasche,
     heißt sie niedersitzen auf die Erde,
     legt die Mahlzeit auf den Pflug mit Eisen:
     "Haltet denn mit eurem Fürsten Tafel."

     Und sie staunen ob des Schicksalspruches
     Wahrheit, sehn den Eisentisch vor ihnen
     und die Rute grünen. Und, o Wunder,
     schnell vertrocknen zwei der dreien Zweige,
     und der dritte blühet. Endlich können
     sie nicht schweigen, und der Pflüger redet:
     "Staunet nicht, ihr Freunde, diese Blüte
     ist mein Königsstamm. Es werden viele
     wollen herrschen und verdorren. Einer
     wird nur König sein und blühen."

     "Aber Herr, wozu der sondre Tisch von Eisen?"
     "Und ihr wisset nicht, auf welchem Tische
     stets ein König isset. Eisen ist er,
     ihr die Stiere, die sein Brot ihm pflügen."

     "Aber Herr, ihr pflügetet so emsig,
     zürnetet, den Acker nicht zu enden?"
     "O hätt ich ihn enden können, hätte
     euch Libussa später mir gesendet;
     niemals würde dann, so spricht das Schicksal,
     eurem Reiche süße Frucht ermangeln.
     In den Bergen sind nun meine Stiere."

     Damit stand er auf und stieg aufs schöne
     weiße Roß, das scharrt und triumphieret.
     Seine Schuhe waren Lindenrinde
     und mit Bast von .seiner Hand genähet.
     Und sie legen an ihm Fürstenschuhe.
     "Lasset", ruft der Fürst vom weißen Rosse,
     "laßt mir meine Schuh von Lindenrinde
     und mit Bast von meiner Hand genähet,
     daß es meine Söhn und Enkel sehen,
     wie ihr Königsvater einst gegangen!"
     Küßt die Schuh und barg sie in den Busen.

     Und sie reiten, und er spricht so gütig
     und so weise, daß in seinem langen
     Kleide sie fast einen Gott erblickten.
     Und sie kamen zu Libussens Hofe,
     die ihn froh empfing mit ihren ]ungfraun,
     und das Volk, es rief ihn aus zum Fürsten,
     und Libussa wählt ihn sich zum Gatten,
     und regierten gut und froh und lange,
     gaben trefflicl1e Gesetz und Rechte,
     bauten Städte, und die Rute blühte,
     und die Schuhe blieben Angedenken,
     und die Pflugschar säumte nicht, solange
     Primislaus und Libussa lebten.
                  *
     Weh, ach weh, die Rute ist verdorret,
     und die armen Schuhe sind gestohlen,
     und der Eisentisch ist güldne Tafel.

Anmerkugen (poznámky):
30. Die Fürstentafel. Eine böhmische Geschichte.
Siehe Hagecks "Böhmische Chronik", bald am Anfange. Hagecks "Böhmische Chronik": "Wenceslai Hagek a Liboczan, Annales Bohemorum e bohemica editione latine redditi et notis illustrati a. p. Victoriono a. S. Cruce e scholis piis". Ed. P. Gelasius a S. Catharina, Pragae 1763. II, p. 144-157; Herder hat die lateinische Prosa bearbeitet.
Libussa: böhmische Königin um das 7. Jh. u. Z., der man die Stadtgründung Prags zuschreibt.

Herder Johann Gottfried von  (25.8.1744 - 18.12.1803)
nìmecký filosof, protestantský kazatel, literární vìdec. Obhajoval práva každého národa na vlastní vývoj a kulturu. Jeho ideál humanity nadchl naše národní buditele.


Stimmen der völker in Liedern
Johann Gottfried Herder. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1972. Herausgegeben und nachwort von Christel Käschel. 4. Auflage. Printed in the German Democratic Republic. Formát 16 x 10 cm. Poèet stran 424.

Mìstská knihovna v Praze  [sign. AN 3077]


©  Jaroslav Gagan
©  Èeská spoleènost rukopisná